In der heutigen Zeit stellen sich bedeutende Fragen zum Umgang mit Macht. Ob in der Weltpolitik, der Wirtschaft oder im persönlichen Leben – die Art und Weise, wie Menschen ihre Machtpositionen nutzen, wird in vielerlei Hinsicht deutlich sichtbar.
Dieser Blogbeitrag zielt darauf ab, Mitarbeitenden und Führungskräften eine Orientierung zur Selbsteinschätzung zu bieten. Zunächst werden wir theoretische Überlegungen anstellen, um anschließend konkrete Anwendungen im Alltag zu betrachten. Der Artikel schließt mit einer Checkliste, die als Reflexionshilfe dient.
Macht ist unausweichlich – und notwendig
Macht und deren Gestaltungsmöglichkeiten sind unausweichlich und notwendig in Unternehmen und in der Gesellschaft, denn sie bildet die Grundlage für Verantwortungsübernahme und Entwicklung. Diese Macht entsteht nie isoliert, sondern ist immer in soziale Kontexte eingebettet, die die Beziehung zwischen Machthabenden als Entscheider und Mitarbeitenden als Ausführende prägen.
Diese Beziehung beinhaltet eine bewusste oder unbewusste Zustimmung zur Ein- und Unterordnung innerhalb eines bestimmten Rahmens und Systems. Entscheidend ist, dass eine soziale Beziehung zwischen beiden besteht.
Ein- und Unterordnung bedeutet dabei: „Ich erlaube jemandem, in einem bestimmten Rahmen und Maß Macht über mich zu haben.“ Diese bewusste oder unbewusste Zustimmung bildet die Grundlage für das Funktionieren von Machtverhältnissen – sei es im beruflichen, privaten oder gesellschaftlichen Umfeld.
Ohne Macht können keine klaren Entscheidungen getroffen, keine Richtung vorgegeben und keine Verantwortung übernommen werden. Entscheidend ist, wie Macht genutzt wird:
- Wird sie transparent oder verdeckt eingesetzt?
- Wird sie zum Wohl des Menschen und der Gesellschaft oder zum Selbstzweck verwendet?
Positionelle Macht reicht nicht aus
Die politische Theoretikerin Hannah Arendt (1906–1975) unterscheidet Macht grundlegend von Gewalt, Autorität und Stärke und legt in ihrer politischen Theorie besonderen Wert auf den Begriff der legitimierten Macht. Wobei sie Macht nicht als Zwang oder Herrschaft von oben versteht, sondern als ein gemeinsames Handeln im öffentlichen Raum.
Für Arendt entsteht Macht nicht durch Unterwerfung oder Hierarchie, sondern durch ein gemeinsames Verantwortungsbewusstsein und durch kollektives Handeln. Macht ist ihrer Auffassung nach immer an ein Wir gebunden: Menschen schließen sich freiwillig zusammen, um gemeinsame Ziele zu verfolgen. Ohne legitimierte Macht können keine klaren Entscheidungen getroffen, Richtungen vorgegeben oder Verantwortungen übernommen werden.
Funktionen der Macht
Macht erfüllt verschiedene Funktionen in der Gesellschaft. In der Soziologie gilt Macht als zentrale Strukturkategorie jeder Gesellschaft, die mehrere Funktionen erfüllt:
- Koordination sozialen Handelns: Macht ermöglicht das zielgerichtete Zusammenwirken vieler, etwa in Unternehmen oder in der Gesellschaft.
- Stabilisierung sozialer Ordnungen: Macht hilft, Regeln und Normen durchzusetzen (z. B. durch Gesetze oder Autoritäten wie Polizei und Justiz).
- Gerechte Verteilung von Ressourcen: Macht entscheidet darüber, wer Zugang zu Bildung, Einkommen, politischem Einfluss oder kulturellem Kapital hat (vgl. Bourdieu).
- Gesellschaftliche Legitimation von Herrschaft: Nach dem Soziologen Max Weber (1864-1920) funktioniert Herrschaft nur mit Legitimität – sei sie rational-legal, traditionell oder charismatisch.
- Konstruktive Konfliktregelung: Macht wird genutzt, um Interessenkonflikte auszutragen, zu moderieren oder zu unterbinden.
- Reproduktion sozialer Strukturen: Machtverhältnisse bleiben durch Bildung, Medien und Eigentum erhalten, es sei denn, sie werden gezielt verändert.
„Macht wirkt nicht nur repressiv, sondern ist auch [positiv] produktiv und schaffe Realität. Sie ist überall – in Diskursen, Wissen, Identitäten und Alltagspraktiken.“
Michel Foucault (1926–1984), französischer Philosoph
Macht kann auf zwei verschiedene Arten ausgeübt werden
Positionelle Macht: (auch Positionsmacht genannt) ist eine Form von Macht, die sich aus der offiziellen Rolle oder Stellung einer Person innerhalb einer Organisation oder eines sozialen Gefüges ergibt. Sie beruht nicht auf persönlichen Eigenschaften oder Beziehungen, sondern auf der Position, die jemand innehat.
Personale Macht: (auch persönliche Macht genannt) ist eine Form von Einfluss, die sich aus den individuellen Eigenschaften, Fähigkeiten oder Beziehungen einer Person ergibt – nicht aus ihrer offiziellen Position oder Rolle. Merkmale personaler Macht sind:
- Charisma: Menschen folgen der Person auf Basis von Persönlichkeit und Respekt.
- Expertise/Kompetenz: Menschen wirken durch Wissen und Fachkenntnisse; sie verschaffen sich somit Einfluss.
- Vorbildfunktion: Wer als moralisch integer oder besonders befähigt gilt, beeinflusst Menschen durch sein/ihr Wesen, Haltung und Verhalten.
Beide Machtarten tragen – jeweils in ihrem spezifischen Kontext und besonders in ihrer Kombination – nachhaltig zur Entwicklung, Sicherheit und Stabilität eines Systems bei.
Die 7 Formen der Macht
Die 7 Formen der Macht – basierend auf den Machtbasen nach „French & Raven“ (1959) – in der sozialpsychologischen Forschung erklären, wie Menschen Einfluss nehmen:
- Legitime Macht: Diese beruht auf formeller Autorität durch Position oder Rolle (z. B. Führungskraft, Richter oder Lehrer).
- Belohnungsmacht: Die Fähigkeit und Berechtigung, Belohnungen in Aussicht zu stellen oder zu gewähren (z. B. Bonus, Lob, Beförderung).
- Sanktionsmacht: Die Fähigkeit und Berechtigung, Sanktionen zu verhängen oder mit negativen Konsequenzen zu drohen.
- Expertenmacht: der Einfluss durch Wissen, Fachkompetenz oder besondere Fähigkeiten.
- Informationsmacht: die Kontrolle über relevante Informationen und deren Weitergabe oder Zurückhaltung.
- Referenzmacht: der Einfluss durch persönliche Ausstrahlung, Vorbildfunktion oder Identifikation.
- Verbindungsmacht: die Macht durch Netzwerke, Beziehungen oder Zugang zu wichtigen Entscheidungsträgern.
Gute Führungskräfte kombinieren diese Machtformen situativ, um angemessen und menschlich zu führen. Dabei spielt kulturelles Feingefühl eine zentrale Rolle, wie der niederländische Kulturwissenschaftler und Sozialpsychologe Geert Hofstede (1928–2020) durch seine Definition der Machtdistanz verdeutlicht.
Führung braucht kulturelles Feingefühl
Geert Hofstedes Definition der Machtdistanz verdeutlicht nachvollziehbar: die Erwartung und Akzeptanz ungleicher Machtverteilung in verschiedenen kulturellen Kontexten. Er definierte Machtdistanz als: „Der Grad, bis zu dem die weniger mächtigen Mitglieder von Institutionen und Organisationen in einem spezifischen Kontext die ungleiche Verteilung von Macht erwarten und akzeptieren.“
Hohe vs. geringe Machtdistanz
- In hoher Machtdistanz wird hierarchische Macht als normal und notwendig angesehen. Direktive Führung wird erwartet, partizipative Führung kann als Schwäche interpretiert werden.
- In geringer Machtdistanz ist Gleichberechtigung ein Leitbild, autoritäres Verhalten wird kritisch gesehen.
Kulturelle Auswirkungen durch unterschiedliche Machtdistanzen
Eine Führungskraft mit partizipativem Stil, also mit einer geringen Machtdistanz, kann in einem Hoch-Machtdistanz-Kontext als schwach wahrgenommen werden.
Umgekehrt kann eine Führungskraft mit autoritäre Haltung, also mit einer hohen Machtdistanz, in einem Umfeld mit niedriger Machtdistanz als Macht- und Dominanzstreben missverstanden werden.
Der verantwortungsvolle Umgang mit Macht stärkt Vertrauen
Gerade in modernen, agilen Organisationen ist psychologische Sicherheit ein Erfolgsfaktor. Psychologische Sicherheit beschreibt das Klima und die Atmosphäre innerhalb einer Gruppe oder Organisation, in dem Individuen sich sicher fühlen, ihre Meinungen, Ideen oder Bedenken ohne Angst vor negativen Konsequenzen auszudrücken. Macht ist nicht per se schlecht für die psychologische Sicherheit – entscheidend ist, wie bewusst sie eingesetzt wird.
Eine machtsensible, reflektierte Führung ist oft die Grundlage dafür, dass sich Menschen sicher fühlen, sie selbst zu sein und sich einzubringen.
Führungspersönlichkeiten stärken das Vertrauen ihrer Teams und Organisationen, indem sie Macht verantwortungsvoll einsetzen – durch klar definierte Rollen, eine gelebte Feedbackkultur und konsequentes, berechenbares Handeln. Diese bewusste Balance zwischen Autorität und Verantwortung bildet die Grundlage für nachhaltigen Führungserfolg und eine belastbare, vertrauensvolle Zusammenarbeit.
Führung als Balanceakt

Was ist der Unterschied zwischen Macht und Autorität?
Macht ist an eine formale Rolle gebunden – sie wird verliehen und ist unabhängig von der Person.
Autorität hingegen ist persönlich und muss durch Handeln, Auftreten und Beziehung erarbeitet werden.
Wie entsteht Rollenmacht?
Klare Definition von Funktion, Aufgaben, Verantwortung und Position:
Für Führungskräfte ist es entscheidend, dass ihre Rolle im Unternehmen eindeutig beschrieben ist. Dazu gehört nicht nur die formale Position in der Hierarchie, sondern auch eine klare Abgrenzung ihrer Verantwortungsbereiche und Entscheidungsbefugnisse. Eine saubere Rollendefinition hilft dabei, Doppelarbeit, Unsicherheiten und Kompetenzkonflikte zu vermeiden. Sie gibt Orientierung – sowohl für die Führungskraft selbst als auch für das Team und andere Schnittstellen im Unternehmen.
Abstimmung der Rolle mit den Betroffenen:
Die Definition der Führungsrolle sollte nicht isoliert erfolgen. Ein Abgleich mit den Erwartungen der direkten Mitarbeiter, Kolleginnen und Kollegen sowie der übergeordneten Führungsebene ist essenziell. Nur wenn die Rolle nicht nur formal, sondern auch im täglichen Miteinander akzeptiert und getragen wird, kann sie wirksam gelebt werden. Diese Abstimmung schafft Akzeptanz, Vertrauen und ein gemeinsames Rollenverständnis.
Feedback und Transparenz:
Führung bedeutet nicht nur Ansagen machen, sondern auch aktiv zuhören, reflektieren und kommunizieren. Regelmäßiges, konstruktives Feedback – sowohl in Richtung der Mitarbeitenden als auch an die Führungskraft selbst – fördert Entwicklung und verbessert die Zusammenarbeit. Transparenz in Entscheidungen, Zielen und Erwartungen stärkt das Vertrauen im Team und sorgt für ein konsistentes Führungsverhalten. Eine offene Feedbackkultur ist somit ein zentrales Element erfolgreicher Führung.
Wie entsteht Autorität?
Durch Sicherheit und Souveränität im Verhalten und Handeln: Führungskräfte zeigen Sicherheit und Souveränität in ihrem Verhalten und Handeln, was zu einem vertrauenswürdigen und effektiven Führungsstil führt.
Durch Erfolg und Krisenbewältigung: Führungskräfte demonstrieren nicht nur Erfolg, sondern auch die Fähigkeit, Krisen effektiv zu bewältigen und aus ihnen zu lernen, was ihre Glaubwürdigkeit und ihren Respekt stärkt.
Durch angemessenes und authentisches Erscheinungsbild: Eine angemessene und authentische Präsentation ist für Führungskräfte entscheidend, um Glaubwürdigkeit und Vertrauen bei ihren Teams und Kollegen aufzubauen.
Durch Vertrauen und Vorbildfunktion: Führungskräfte gewinnen Vertrauen durch ihre Integrität und indem sie eine Vorbildfunktion für andere übernehmen, was zu einer positiven und motivierenden Arbeitsumgebung führt.
Durch Freiwilligkeit – sie wird von anderen verliehen, nicht erzwungen: Führungskräfte erlangen ihren Führungsstatus durch das Vertrauen und die Anerkennung ihrer Teams und Kollegen, nicht durch Zwang oder Autorität allein.
Wie gelingt der ausgewogene Umgang mit Macht im Führungsalltag?
Ein balancierter Umgang mit Macht ist die Voraussetzung für vertrauensvolle Zusammenarbeit und langfristigen Führungserfolg.
Das bedeutet:
Macht bewusst einsetzen – nicht ausnutzen
Führung bedeutet, Einfluss zu nehmen – und dieser Einfluss bringt Verantwortung mit sich. Eine reife Führungshaltung erkennt an, dass jedes Verhalten Wirkung zeigt: Wie Feedback gegeben wird, ob mit Respekt oder Herablassung; ob Entscheidungen autoritär oder partizipativ getroffen werden; ob Konflikte lösungsorientiert oder machtvoll unterdrückt werden. Wer führt, sollte sich der Vorbildfunktion bewusst sein und aktiv danach handeln.
Verantwortung übernehmen – Haltung zeigen
Verantwortung als Führungskraft bedeutet mehr, als nur für Ergebnisse einzustehen. Es heißt auch, die eigene Macht sensibel und reflektiert zu nutzen. Das zeigt sich in konkretem Verhalten: etwa darin, wie offen auf Kritik reagiert wird, wie mit Fehlern von Mitarbeitenden umgegangen wird oder wie in Drucksituationen kommuniziert wird. Eine verantwortungsvolle Haltung zeichnet sich durch Klarheit, Fairness und Authentizität aus.
Transparenz schaffen und Beteiligung ermöglichen
Eine moderne Führungshaltung zielt auf Augenhöhe. Wer Mitarbeitende ernst nimmt, sorgt für Nachvollziehbarkeit in Entscheidungen, lädt zur Mitgestaltung ein und fragt aktiv nach Perspektiven. Praktisch zeigt sich das z. B. in regelmäßigen Teamrunden mit echter Beteiligung, transparenten Entscheidungswegen und klarer Kommunikation von Zielen und Hintergründen.
Selbstreflexion fördern und Feedback aktiv einholen
Führung beginnt bei Selbstführung. Wer seine Wirkung kennt, kann gezielt daran arbeiten. Das bedeutet konkret: sich regelmäßig Zeit zur Reflexion nehmen, sich Rückmeldungen vom Team einholen und auf blinde Flecken achten – etwa durch kollegiale Beratung, Coaching oder 360°-Feedback. Eine reflektierte Führungskraft zeigt Offenheit für Entwicklung und geht selbst mit gutem Beispiel voran.
Partizipation leben und Macht teilen
Führung bedeutet nicht, alles zu wissen oder zu kontrollieren. Eine wirksame Führungshaltung zeigt sich darin, Verantwortung im Team zu fördern, Raum für selbstständiges Arbeiten zu geben und Kompetenzen gezielt zu entwickeln. Praktisch heißt das: Aufgaben delegieren, Vertrauen schenken, Erfolge gemeinsam feiern – und im Zweifel auch loslassen können. Wer Macht teilt, schafft Engagement, Motivation und ein starkes Wir-Gefühl.
Checkliste für Führungskräfte als Reflexionshilfe
Laden Sie unsere kostenlose Checkliste für Führungskräfte herunter und lassen Sie sich von den Fragen zur Reflexion inspirieren.
Welche zwei Führungsthemen sind für Sie am dringendsten?
Möchten Sie an diesen Themenfeldern im Rahmen eines Führungskräfte-Coachings arbeiten?
Dann nehmen Sie gerne Kontakt mit uns auf.
Autor

Mathias Hühnerbein
Mathias Hühnerbein ist als akkreditierter Lehrtrainer und Ausbilder im proCEO Institut für die Ausbildung in den Bereichen Coaching und Supervision verantwortlich.
Mit über 16.000 Stunden Beratungserfahrung arbeitet Mathias als freiberuflicher Coach, Master-Coach, Lehr-Coach, Supervisor, Lehr-Supervisor, Resilienzberater und Trainer mit Fach- und Führungskräften, Teams und Organisationen.
Außerdem war Mathias Hühnerbein als Honorardozent an der OHM Professional School in Nürnberg tätig.